92.027 Unterschriften und verschiedenste Aktionen: Mit ihnen konnten geplante Haushaltskürzungen für Freiwilligendienste abgewendet werden. Doch ist die Zukunft der Freiwilligen Sozialen Jahre damit wirklich gesichert?
Viele soziale Einrichtungen atmen auf – darunter Krankenhäuser, Altenheime oder Kindergärten: Im Entwurf des Bundeshaushaltsplans für das Jahr 2024 waren für die sowieso schon unterfinanzierten Freiwilligendienste nur noch etwa 250 statt der etwa 328 Millionen Euro im Jahr 2023 vorgesehen. Das entspricht Kürzungen von fast 24 Prozent. Kürzungen, durch die ab dem kommenden Jahr ein Viertel aller Freiwilligenplätze in Deutschland weggefallen wären. Bei aktuell mehr als 72.000 Freiwilligen sind 18.000 Stellen betroffen. Und das, obwohl die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag noch für einen Ausbau geworben hatten.
Der Etatentwurf für den Bundeshaushalt soll abschließend in der Woche vom 27. November bis 1. Dezember 2023 beraten werden. Ab dann dürften zumindest die bisherigen Standards für die Freiwilligendienste im Jahr 2024 gesichert sein – wie es danach weitergeht, ist jedoch noch offen.
Freiwillige machen Druck im Bundestag
Verantwortlich für den Widerstand ist die Kampagne „Freiwilligendienst stärken“, die aus Freiwilligen verschiedener Dienste und Träger besteht – ein Zusammenschluss junger Menschen, die mit dem Motto „Kürzt uns nicht weg!“ den Protest begannen. Gemeinsam mit Vereinen und Verbänden, die als Träger die Plätze für die Freiwilligendienste anbieten, überzeugten sie schließlich den Petitionsausschuss des Bundestages. Mit den über 92.000 Unterstützungen wurden fast doppelt so viele gesammelt, wie die für eine Anhörung in den Ausschüssen des Bundestages benötigten 50.000 Stück. „Auch wenn wir anfangs belächelt wurden, haben wir nun einen wirklich großen Erfolg erzielt. Jetzt können wir endlich darüber sprechen, wie wir zukünftig den Freiwilligendienst besser gestalten können.“, betont Marie Beimen, Petentin und Freiwilligensprecherin von „Freiwilligendienst stärken“.
Mehr Geld, mehr Mobilität, mehr Anerkennung
Gefordert wird neben der Nicht-Umsetzung der Kürzungen, dass die Mittel durch Bund und Bundesländer verdreifacht werden. Dazu soll außerdem das monatliche Taschengeld an den BAföG-Höchstsatz angepasst und die Inflation einberechnet werden. Die Kampagne schreibt auf ihrer Website: „Gerade junge Menschen aus einkommensschwachen Familien können trotz Interesse, keinen Freiwilligendienst leisten.“ Auch eine schon seit einigen Jahren bestehende Forderung wird erneut aufgegriffen: Freiwilligendienstleistende sollen den Nah- und Fernverkehr kostenlos nutzen können.
Was ist ein Freiwilliges Soziales Jahr?
Freiwilligendienste und Bundesfreiwilligendienste (BFD) bieten im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres (FSJ) vor allem jungen Menschen ein Orientierungsjahr. Sie können ein Jahr lang jeweils eine von verschiedenen, hauptsächlich sozialen Einrichtungen kennenlernen – die sogenannten Einsatzstellen. Dazu zählen Kindergärten und Schulen, Krankenhäuser und Altenheime, aber auch Sportvereine oder kulturelle Organisationen, wie Theater und Museen. Die Freiwilligen profitieren von einer Berufsorientierung und werden dabei mit einem gesetzlich vorgeschriebenem, pädagogischem Programm an insgesamt 25 Bildungstagen begleitet. Das Programm besteht aus bildenden Seminaren, in denen die Freiwilligen auf Freiwillige anderer Einsatzstellen und geschulte „Teamende“ treffen.
Vom FSJ zum Medizinstudium
Max Drewnianka, Vorstandsmitglied für die Region Niedersachsen und Hamburg bei dem FSJ-Träger ijgd Internationale Jugendgemeinschaftsdienste, berichtet von Schwierigkeiten bei der Nachwuchssuche von ehrenamtlichen Teamer*innen – also den Personen, die die Bildungstage mit leiten. „Viele FSJ-Stellen sind in Krankenhäusern oder Altenheimen und die Freiwilligen fangen nach ihrem FSJ oft entweder ein Medizinstudium oder eine Pflege-Ausbildung an.“ Beides zeitintensive Ausbildungsrichtungen mit Schichtarbeit schon während der Ausbildung. Dass die Ehemaligen der Branche ihres Freiwilligendienstes erhalten bleiben, bestätigt auch Peter Raffel, stellvertretende Stationsleitung am Klinikum Osnabrück: „Die, die bei uns waren, sind alle in die Ausbildung gegangen. Einzelne zum Medizinstudium.“
Freiwilligendienste als Chance gegen den Fachkräftemangel
Was schlecht für die FSJ-Träger ist, ist ein umso besseres Argument für eine bessere Förderung von Freiwilligendiensten: Werden die bestehenden Programme ausgebaut, könnten sie langfristig dazu beitragen, den Fachkräftemangel zu verringern. Vor allem der soziale Bereich würde profitieren, dort ließen sich aufgrund des hohen Bedarfs relativ einfach neue Plätze ergänzen. Aktuell fehlen laut einer Erhebung des Instituts der deutschen Wirtschaft 76.159 Fachkräfte in relevanten Bereichen, also in der Kindererziehung, der Pflege oder auch in der Sozialarbeit. Aber auch kurzfristig würden mehr FSJ- und BFD-Plätze Erleichterung bringen. Freiwilligendienstleistende ersetzen keine Fachkräfte – sie können aber aushelfen, unterstützen, kleine Aufgaben übernehmen und vor allem: an die Berufe herangeführt werden.