Leidenschaft, Müll und Menschenmassen: Wie eine Messe entsteht

Die Hannover Messe ist die bedeutendste Industriemesse weltweit. Doch bevor hier die CEOs von Weltkonzernen Millionendeals abschließen, hat ein Heer von Arbeiter*innen tagelang an Messeständen gebaut und dekoriert. Ein Besuch bei den Menschen, die die Messe machen.

Es ist früher Vormittag. Michael Prix ist soeben mit seinem Forschungstruck in Halle 2 des großen Messegeländes angekommen, das fast doppelt so groß ist wie die Vatikanstadt. Auf einer silbernen Leiter stehend, poliert er den schwarz-glänzenden LKW. „Am Montag kommt ja die Ministerin, da muss er blitzen“, erzählt er schmunzelnd. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unter Bettina Stark-Watzinger fördert Prix‘ LKW, den InnoTruck – ein Forschungslabor auf Rädern. Unterwegs ist er vor allem auf Schulhöfen, aber auch auf Messen im ganzen Land. Im Inneren werden multimedial nachhaltige Zukunftstechnologien erklärt. „Wir fahren zwar nicht klimaneutral, aber immerhin nachhaltig – der ist Baujahr 2007,“ kommentiert Michael Prix sein Gefährt augenzwinkernd. Prix ist erst seit 2021 mit dem InnoTruck unterwegs. Als Quereinsteiger gehe für ihn als Truckmanager nun ein Traum in Erfüllung. „Das würde ich gerne noch einige Jahre machen.“

Der InnoTruck fasst zusammen, wofür die Hannover Messe 2024 stehen möchte: Klimaschutz, Energiewende und Wasserstoff – und das möglichst nachhaltig. Themen, die zumindest nach außen hin permanent präsent sind. So fahren beispielsweise die Shuttle-Busse zwischen den Messehallen mit dem grünen Antriebsstoff.
Mehrere Monate dauert die Vorbereitung, einige Wochen der Aufbau, und nur fünf Tage lang öffnet die Messe. Viele Tonnen an Holz, Stahl und Verkleidungsmaterialien sowie mehrere Fußballfelder an Teppichen werden verbaut, um eine Arbeitswoche lang Industriekontakte knüpfen und die neuesten industriellen Entwicklungen präsentieren zu können. Dabei fällt schon während des Aufbaus viel Müll an.

Draußen auf einer Bank ruhen sich nach dem ersten Morgeneinsatz Dominik Vondran und sein vierköpfiges Team aus. „Umweltschutz wird ganz groß geschrieben im Messebau. Alles wird in den Container geworfen hinterher“, berichtet der Frankfurter trocken. Die Möbel würden zwar oft eingelagert, alles andere komme aber meistens einfach in den Müll. Es sei jedoch schon besser als noch vor 10 bis 15 Jahren: „Manche Firmen haben mittlerweile Pellet-Maschinen.“ Das sei eine Win-Win-Win-Situation, erklärt er: „Du sparst dir die Entsorgungskosten, holst noch einen Energiegewinn raus und verbesserst damit die CO2-Bilanz. Aber wenn da 1000 Quadratmeter Teppich auf dem Stand liegen, dann muss der weg, nachdem da alle drüber gelatscht sind.“
Unterwegs sei Vondrans Team europaweit – in Barcelona, Madrid, Mailand. „Du siehst halt oft nicht viel außer der Messehalle und dem Hotel.“ Bei kurzen Messen blieben sie aber auch mal für ein paar Tage vor Ort, um dann abschließend wieder abzubauen und sich lange Ab- und Wieder-Anreisen zu sparen. „Natürlich für den Umweltschutz“, fügt einer aus dem Trupp schmunzelnd hinzu.

Ratternd fährt Hendrik Scheiermann mit seinem vollbeladenen, grünen Golfcart-Gespann vor. Hinten, auf einem schmalen Anhänger, reihen sich saftig-grüne Kirschlorbeer-Sträucher in weißen Kübeln aneinander. Scheiermann vermietet mit seiner Familiengärtnerei in dritter Generation deutschlandweit auf fünf Messegeländen Pflanzen – als Dekoration für die Stände. Die Pflanzen werden immer wieder genutzt. Diese Nachhaltigkeit wird bei den Scheiermanns schon lange gelebt: „Mein Opa hat angefangen, die Firma gibt es jetzt seit 45 Jahren. Mein Papa hat es weitergemacht und seit 2010 mache ich es.“ Mit zwei LKW voller Vasen, Pflanzen, Töpfen und Dekostreu machen sich Hendrik Scheiermann und seine Kolleg*innen auf den Weg. „Wir kommen aus Essen für jede Messe hier her – so vier, fünf Tage lang. Und wenn die Messe zu Ende ist, dann sammeln wir alles wieder ein und die Pflanzen kommen zurück in unser Gewächshaus.“

Die Mittagszeit bricht an. Auf vielen Messeständen wird es zumindest kurz etwas ruhiger. Bierzeltgarnituren sind quasi eine Grundausstattung auf den meisten Ständen – und damit die bereits verlegten Teppiche nicht verschmutzen, stehen die Behelfsmöbel auf schützenden Plastikfolien. An den klapprigen Tischen verbringen die Arbeiter*innen gemeinsam ihre Pausen. Zwischen umherfahrenden Gabelstaplern, Dreck und der bereits vorsichtig durchscheinenden Eleganz der Messestände schallen Lacher und Gesprächsfetzen in unterschiedlichsten Sprachen durch die Halle. Im Hintergrund lässt eine JBL-Box den Blufunk-Song „Where’s Life?“ von Keziah Jones zum Soundtrack der Situation werden.
Je nach Standgröße variiert das Mittagsangebot vom ausgiebigen Salat-Buffet, Kaffeemaschine und eigenem Kühlschrank bis hin zum abgepackten Käse-Sandwich. Sehr beliebt scheint die Bockwurst aus der Konservendose. Nicht wenige Bautrupps haben sich kistenweise Getränke aus ihrer Heimat mitgebracht. Neben Apfelsaft und bayerischer Johannisbeerschorle lagern die Messebauer*innen neben dem Stand des Freistaats wie selbstverständlich auch eine Bier-Auswahl. Sehr präsent: „Rammlerbräu“ mit dem Slogan „Des bummst di richtig“.

Die Messebauer*innen kommen nicht nur aus ganz Deutschland – der Messebau ist international. Neben vielen Menschen aus Polen oder den Niederlanden werkelt auch eine italienische Familie eifrig. Eine mamma mit ihren beiden erwachsenen Kindern ist dabei, den Stand eines kleineren italienischen Unternehmens aufzubauen, Espresso-Maschine inklusive. Am Vortag seien sie noch in Amsterdam gewesen und über Nacht fahren sie wieder zurück nach Hause.
Lokale Unternehmen aus der Region Hannover sind natürlich ebenfalls vor Ort aktiv. So auch Bodo Handwerker, der als Mitarbeiter einer Druckerei den Messestand des Wirtschaftsministeriums mit einem großen „START MOVE FOLLOW“-Schriftzug beklebt. Er blickt auf eine 41-jährige Karriere zurück: „Ich habe damals noch mit Malstock und Pinsel angefangen.“

Aus Hannover kommt auch der Hallendisponent Martin Hoffmann. Er ist auf dem Fahrrad unterwegs. Als Bindeglied zwischen den Ausstellenden und einem Logistikunternehmen organisiert er den Materialtransport zu und von den Ständen. Unter Corona sei er von der Messe in einen anderen Beruf gewechselt, den er nicht mehr aufgeben wolle. Zur Messe ziehe es ihn aber immer wieder zurück. „Sobald ich einspringen kann, bin ich da. Es macht mir Spaß, sonst würde ich das nicht machen.“ Für die Bezahlung lohne es sich jedenfalls nicht. „Bei einer anderen Messe habe ich meine komplette Freizeit und den halben Urlaub geopfert, aber ich mache es halt gerne!“ So sei es aber nicht von Beginn an gewesen: „Bei der ersten Messe wäre ich am liebsten weggelaufen – ich mochte meinen Kollegen nicht. Es war einfach stressig, es war nervig. Mittlerweile ist er mein liebster Kollege auf der Messe. Wir mussten uns einfach nur einspielen.“ Hoffmann habe außerdem einige gute private Kontakte mit den Kund*innen geknüpft. Auch dafür lohne es sich, immer wieder herzukommen.

Es wird Abend auf dem Messegelände. Teilweise wird noch bis in die frühen Morgenstunden durchgearbeitet werden, der letzte Feinschliff verpasst – damit alles für den Ansturm perfekt ist.

Am Nordeingang beginnt Karl Ben Amor noch einen letzten Rundgang. Mit einem gezielten Ruck richtet der Anfang-Dreißig-Jährige einen auf eine Ecke gekippten Werbewürfel präzise zur Stadtbahnhaltestelle aus. Er ist für die Außenwerbung bei der Deutschen Messe zuständig. „Ich mache mich jetzt auf den Weg quer übers Gelände und kontrolliere, ob alle Werbemaßnahmen vernünftig platziert wurden, ob die Motive stimmen, ob die Standorte stimmen.“ Im Vorfeld konnten die Aussteller XL-Poster und Banner an den Hallen, Würfel auf den Wegen und Außenflächen und gigantische Werbetürme vor den Messeeingängen buchen, um die Besucher*innen auf ihre Stände aufmerksam zu machen. „Das Gelände ist auch echt schön, das gibt viel her. Das ist unser Vorteil: große Flächen und dazwischen viel Grün.“

Und ab dem nächsten Tag auch viele Besucher*innen – wenn die Menschen hinter dem Messe-Aufbau ihre Arbeit beendet haben, die Hannover Messe zu leben beginnt und fünf Tage lang zum Ziel von letztlich 127.000 Interessierten wird.

Autorenfoto Maarten Hoffmeyer | Foto: Charlotte Schreiber

Maarten Hoffmeyer

Ich studiere Journalistik an der Hochschule Hannover. Auf dieser Website teile ich meine Studienprojekte und -ergebnisse auf dem Weg zum Journalisten.

Der Website-Titel „HINTERGRUND“ steht für die Einblicke, die ich mit meinen Texten und Projekten gebe.

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