In Museen ist es meist ruhig. Sehr ruhig. Besucher*innen betrachten Gemälde und Ausstellungsstücke und genießen die Stille. Doch wie geht es Menschen, die den ganzen Tag mit der Stille konfrontiert sind? Ein Porträt über eine Museumsaufseherin.
Entferntes Flüstern, leise hallendes Gemurmel, langsam schlurfende Schritte. Es ist 10:30 Uhr an einem Freitag im Sprengel Museum Hannover. Die weiten Museumsräume mit ihren hohen Decken füllen sich langsam mit Besucher*innen, die die freitägliche Möglichkeit zum kostenfreien Eintritt nutzen.
Zwischen 100 Jahre alten und auch ganz aktuellen Gemälden vor thematisch passend gefärbten Wänden; zwischen kleinen und etwas größeren Skulpturen; zwischen einigen Beamern, Leinwänden und unzähligen Infoschildchen befindet sich der Arbeitsort der 22-jährigen Museumsaufseherin Tülay Maras. Ihre Hauptaufgaben: Darauf achten, dass die Besucher*innen einen Abstand zu den Kunstwerken einhalten und dass sie nicht mit Blitz fotografieren, um die empfindlichen Farben zu schützen. Kurz: aufpassen, dass die Kunstwerke nicht beschädigt und die Besucher*innen nicht zu laut werden.
Für Maras ist dieser besondere Arbeitsplatz in häufig gähnender Stille auch noch nach eineinhalb Jahren ein Luxus, ein Ort der Entspannung. Nach stressigen Wochenenden freut Sie sich oft auf den Tag nach dem Ruhetag: „Dienstag kann ich abschalten, da bin ich dann in einem Ding, wo einfach nichts ist, wo ich einfach mit mir selbst bin. Mit mir selber auch diskutieren kann manchmal. Dann bin ich auch sehr entspannt.“ Ab und zu sei es so entspannend, dass sie auch schon mal müde werde. Das zum Schutz der Kunst gedimmte Licht unterstütze dabei zusätzlich.
An ruhigen Tagen, an denen die Stille in den Räumen dominiert, nimmt sich die ausgebildete Kauffrau für Schutz und Sicherheit aber auch Zeit, um sich mit der Kunst auseinanderzusetzen. „Ich habe hier angefangen, Kunst zu verstehen.“ Sie fasziniert die vielfältigen Geschichten, die in den Werken zu finden sind. Häufig sind es Geschichten über das laute Innere von nach außen hin stillen Künstler*innen. So habe zum Beispiel die Bildhauerin Niki de Saint Phalle ihr inneres Chaos, ihren Frust und Aggressionen in der Kunst verarbeitet. Sie wurde bekannt durch ihre „Nana“-Figuren. „Ich weiß nicht, ob man sagen kann ‚Stille ist wirklich Stille‘, weil es ist zwar ‚Stille‘, aber trotzdem ist im Inneren immer etwas los.“
Wir stehen vor Tülay Maras liebstem Kunstwerk. Eine sandfarbene Fläche nimmt den Großteil des Bildes ein. Darauf steht ein schwarzes Fahrrad mit klaren Konturen. Ein schmaler Grünstreifen in der Ferne. Zwei schwarze Türme und eine Reihe von eingeschossigen, identischen und schwarzen Gebäuden. Darüber ein blauer Himmel mit samtigen Wolken. Die Farbe auf der Leinwand strahlt eine bedrückende Stille und zaghafte Ruhe aus. „Der Künstler Wilhelm Sasnal will damit zeigen ‚Guck mal, es sieht so friedlich aus‘ – aber das ist nicht so. Im Hintergrund passieren einfach sehr viele Sachen. Du als Person kannst auch sehr ausgeruht aussehen, aber man weiß nicht, was im Inneren alles ist.“ Zu sehen sind die Ruinen eines Konzentrationslagers – eine Erkenntnis, die Maras erst nach einiger Zeit kam und die ihren Blick auf die Kunst verändert hat.
Maras mag die Abwechslung der immer wieder neuen Kunstwerke und der vielen Räume, in denen sie eingesetzt wird. Sie ist dankbar für die Stille, die sie in anderen Berufen nicht in diesem Ausmaß hätte und die ihr ansonsten in ihrem Leben fehle. „Ich würde jetzt, wenn ich hier auch nicht mehr arbeiten würde, trotzdem herkommen“ – für die Ruhe und für die Kunst. „Das ist echt vorteilhaft hier. Deswegen empfehle ich auch allen Besucher*innen, hierhin zu kommen, wenn sie wirklich Stille wollen.“
Dieser Artikel ist auch im exporter-Magazin 2023 der Hochschule Hannover erschienen: